Der letzte Bissen ist eine Ehrerweisung des Jägers gegenüber dem erlegten Wild. Früher wurde diese Ehre nur dem männlichen Schalenwild erwiesen, heute – in Zeiten der Gleichstellung – erhalten auch weibliche Stücke den letzten Bissen. Bei Raubwild ist die Darreichung des letzten Bissens nicht vorgesehen, aber manchmal ergibt sich das auch von selbst.
Es ist einer der ersten Ansitze im Niederwildrevier, in dem ich seit einiger Zeit in einer Jagdgemeinschaft mitjagen darf. Ein weiterer lauwarmer Mittwoch Abend im Spätsommer, wo ich auf der Leiter bei den drei Eichen sitze, direkt zwischen einem Wildacker und einem bereits abgeernteten Weizenfeld.
Eigentlich sitze ich hier auf einen Bock an, doch bisher habe ich nur weibliches Rehwild im Anblick, das minutenlang auf der Schussschneise im Wildacker naschhaft die Köstlichkeiten die ein Wildacker so bietet äst. Irgendwann komme ein Spaziergänger mit Hund und die Ricke mit Kitz springt über das Weizenfeld ab und verschwindet im dichten Mais.
An der Maiskante, die 50 Meter rechts von mir ist erspähe ich irgendwann einen dunklen Schatten. Ich greife zum Fernglas und erkenne eine Katze, die vorsichtig durch den Mais streift. Nach einigen Minuten zieht sie sich in den Mais zurück. Dreißig Meter weiter links von ihr sitzt ein Hase auf dem Feld. Die Katze störte ihn nicht.
Die Sonne geht langsam unter, der Wind steht günstig, Spaziergänger sind auch nicht mehr zu sehen. Deswegen beschließe ich, die Hasenklage einmal zu spielen. Wenn schon kein Rehwild mehr im Anblick ist, so kann ich vielleicht doch einen Fuchs locken. Der Hase stirbt qualvoll, ich warte gespannt und beobachte die Umgebung.
Einige Minuten rührt sich nichts, doch dann ist die Katze wieder da. Neugierig streift sie an der Maiskante entlang, da aber keine Beute auszumachen ist, verschwindet sie irgendwann wieder im Maisfeld.
Mit der Beute geht es mir ähnlich, auch ich habe nichts im Anblick, bis die Ricke und ihr Kitz wieder aus dem Mais treten, vorsichtig den Stoppelacker überqueren und in den Wildacker einwechseln. Dort verliere ich sie aus den Augen, der Bewuchs ist zu hoch.
Die Zeit vergeht auf der Jagd immer fürchterlich schnell. Vermutlich liegt das daran, dass die Aufmerksamkeit auf die Beobachtung der Umgebung fokussiert wird und dadurch einfach das Gefühl für Zeit verloren geht. So ist es auch wieder an diesem Abend.
Irgendwann kommt der Punkt, an dem das Büchsenlicht sehr schnell schwindet. Wenn die Sonne erstmal hinter dem Horizont ist, dann wird es sehr schnell dunkel.
Ich versuche die Zeit in der noch genug Licht zum sicheren ansprechen und schießen vorhanden ist gut zu nutzen und mit dem Fernglas suche ich die Kante des Maises und das Stoppelfeld ab, sehe aber nur zwei Feldhasen in einiger Entfernung.
Irgendwann wird es Zeit abzubaumen, also packe ich meinen Kram zusammen und stopfe ihn in den Rucksack, stelle mich auf die Leiter und entschließe mich vor dem abbaumen noch ein mal das Stoppelfeld abzusuchen. Mit dem Fernglas suche ich das Feld ab und plötzlich steht da am Ende des Feldes ein Fuchs, der gerade jagd.
Die Entfernung ist ordentlich, aber ich entschließe mich zu schießen, greife mir die Büchse und lege auf der Leiter stehend auf den Fuchs an. Es dauert einen Moment, bis ich mich so eingerichtet habe, dass die Büchse ruhig liegt, dann bricht der Schuss. Im Zielfernrohr sehe ich eine große Staubwolke und keinen Fuchs. Ich bin mir sicher er liegt.
Schnell baume ich ab, hole die Taschenlampe aus dem Jagdrucksack und stiefele los. Kurz vor dem Ende des Stoppelackers finde ich den Fuchs und ich messe noch schnell die Entfernung zum Ansitz mit einem Laserentfernungsmesser. 138 Meter. Ich hätte weniger geschätzt. Vielleicht 120.
Nachdem der erste Anflug von Freude über den Jagderfolg abgeklungen ist, sehe ich mir den Fuchs näher an und mache ein paar Fotos um den Abschuss zu dokumentieren. Als ich die Fotos kontrolliere fällt mir auf, dass der Rüde etwas im Fang hat. Mit zwei Fingern zoome ich heran und erkenne nun was es ist: Eine Maus. In der Dunkelheit war mir das vorher nicht aufgefallen.
Für sie kam mein Schuss zu spät, für den Fuchs war sie der letzte Bissen.
2 Gedanken zu “Der letzte Bissen”
Schön geschrieben und freue mich auf weitere Beiträge. Tipp-Top!
Danke, das freut mich. 🙂